Am 9. und 10. Mai 2025 werden im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zehn weitere Stolpersteine verlegt. Mit Stolpersteinen wird am letzten freiwillig gewählten Wohnort an Menschen erinnert, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden – im Bezirk sind es bereits ca. 1.100 Stolpersteine.
9. Mai 2025
Der Künstler und Initiator des Stolperstein-Projektes Gunter Demnig verlegt zur Erinnerung an Gertrud Aronheim, Paul, Lilli und Inge Erika Hahn um 9.30 Uhr in der Obentrautstraße 54 vier Stolpersteine.
Gertrud Becker (*1876 in Krotoschin / damals preußische Provinz Posen) heiratete 1897 in Berlin den jüdischen Kaufmann Albert Aronheim. 1898 kam die Tochter Lilli zur Welt. Die Familie zog ca. 1906 in das Haus in der Teltower Straße 26 (heute Obentrautstraße 54). Gertruds Ehemann hatte es etwa 1904 erworben. Nach seinem Tod 1918 wurde Gertrud Eigentümerin des Hauses.
Die Tochter Lilli Aronheim heiratete 1919 den jüdischen Kaufmann Paul Hahn (*1887 in Berlin), der zu seiner Frau in die Teltower Straße 26 zog. 1921 kam die Tochter Inge Erika zur Welt.
Die Familie war von der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung der Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten betroffen. Das Grundstück Obentrautstraße 54 musste Gertrud Aronheim Ende 1938 unter Wert verkaufen. Gertrud und die Familie ihrer Tochter lebten weiterhin dort, nun aber zur Miete. Sie hatten die Absicht, Anfang Mai 1939 nach Ecuador zu emigrieren. Die Vorbereitungen für ihre Auswanderung waren bereits recht weit fortgeschritten, doch der Beginn des Zweiten Weltkriegs machte ihre Pläne zunichte. Paul, Lilli und Inge Erika Hahn mussten nun Zwangsarbeit verrichten.
Gertrud Aronheim starb am 28. Oktober 1941 in ihrer Wohnung an Unterleibskrebs. Paul, Lilli und Inge Erika Hahn wurden am 26. Oktober 1942 mit dem sogenannten 22. Osttransport von Berlin nach Riga deportiert, wo sie gleich nach der Ankunft am 29. Oktober 1942 ermordet wurden.
10. Mai 2025
Mit der Verlegung von drei Stolpersteinen in der Lübbener Str. 9 um 9:00 Uhr durch Gunter Demnig wird an Dagobert, Gertrud und Bernd Kurzweg erinnert. Die Bezirksbürgermeisterin nimmt an dieser Verlegung teil.
Dagobert Kurzweg kam 1895 in Berlin in einer jüdischen Familie zur Welt. Nach dem Abitur trat er als Kriegsfreiwilliger in den Ersten Weltkrieg ein. 1919 begann er ein Studium an der Berliner Universität, welches er jedoch nicht abschloss. Er arbeitete dann u.a. als Testamentsvollstrecker.
1922 heirateten er und Gertrud Wiedrich, geb. 1903 in Insterburg (ehemaliges Ostpreußen, heute Rußland). Sie war evangelisch, trat aber 1925 zum Judentum über. Seit etwa 1935 wohnten sie in der Lübbener Straße 9.
Die Verfolgung von Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten seit 1933 traf auch diese Familie. Nach 1933 wurde Dagobert Kurzweg die Genehmigung, als Testamentsvollstrecker zu arbeiten, entzogen und er musste fortan als Bauarbeiter seinen Lebensunterhalt verdienen. Er wurde am 13. Juni 1938 im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt, wo er bis zum 3. September 1938 inhaftiert blieb. Er wurde mit der Auflage entlassen, Deutschland zu verlassen. Bei der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ wurden vom 13. bis 18. Juni 1938 mehr als 10.000 Menschen, die für „asozial“ gehalten wurden, verhaftet. In Berlin wurden dabei unter fadenscheinigsten Vorwürfen gezielt mehr als 1.000 Juden festgenommen und in Konzentrationslager deportiert.
Dagobert Kurzweg wanderte im Mai 1939 nach Shanghai aus, das für mehr als 20.000 europäische Juden zur letzten Zuflucht wurde. Seine Ehefrau Gertrud und der im Dezember 1938 geborene Sohn Bernd folgten ihm im Oktober 1940. Die Lebensbedingungen in Shanghai waren schlecht, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten unzureichend und die Familie litt unter dem feucht-schwülen Klima. Sie überlebten und die Familie kehrte 1947 nach Berlin zurück. Gertrud verstarb 1960, Dagobert Kurzweg 1965. Bernd Kurzweg lebt in Berlin.
In der Wilhelmstr. 12 werden um 16:00 Uhr drei Stolpersteine für Ludwig, Valerie und Herbert Stein verlegt.
Ludwig Stein kam 1885 in Hajdúdorog (Ungarn) in einer jüdischen Familie zur Welt. 1907 zog er nach Berlin. Er arbeitete als Buchhalter und absolvierte später ein Betriebswirtschaftsstudium. 1925 heirateten er und Valerie Weil, geb. 1900 in Selmecbánya (damaliges Ungarn, heute Slowakei). 1926 kam der Sohn Herbert zur Welt. Seit 1927 wohnte die Familie in der Wilhelmstraße 12. Ludwig Stein erteilte dort auch private Lehrgänge in Buchhaltungs-, Bilanz- und Steuerkunde.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 begann die schrittweise Entrechtung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen. 1936 wurde die Familie gezwungen, aus ihrer Wohnung in der Wilhelmstraße 12 auszuziehen. Ludwig Stein wurde die Zulassung als Steuerberater entzogen. Seine Unterrichtsgenehmigung wurde auf jüdische Schüler*innen beschränkt, was es ihm fast unmöglich machte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im Dezember 1941 wurde die Familie Stein, die zuletzt in Schöneberg lebte, ausgewiesen. Im Juli 1942 wanderten sie nach Budapest aus. Ungarn war mit dem Deutschen Reich verbündet und verschärfte mit diskriminierenden Gesetzen (1938-1942) die Entrechtung und Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen aus dem öffentlichen Leben. Im März 1944 wurde Ungarn von den Deutschen besetzt.
Im Juni 1944 wurde Herbert Stein zum ungarischen Arbeitskommando eingezogen und musste bis Kriegsende Zwangsarbeit leisten. Nachdem in Budapest ein jüdisches Ghetto eingerichtet wurde, konnten Ludwig und Valerie Stein in einem Haus Zuflucht finden, das unter dem Schutz eines Schweizer Diplomaten stand, und so überleben.
Herbert Stein wanderte 1947 in die USA aus. Seine Eltern lebten bis 1950 in Budapest, emigrierten dann nach Israel und folgten ihrem Sohn 1954 in die USA.
Diese Verlegung ist Teil des Programmes von „Denkmal am Ort“. Es wird auch einen Vortrag und ein Gespräch geben. Dieser Veranstaltungstermin findet in englischer Sprache statt.
https://dmao.ondho.com/wp-content/uploads/2025/04/DMAO-Berlin-Programm-2025.pdf