Am 3. und 4. April 2025 werden im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zehn weitere Stolpersteine verlegt. Mit Stolpersteinen wird am letzten freiwillig gewählten Wohnort an Menschen erinnert, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden – im Bezirk sind es bereits ca. 1.100 Stolpersteine.
03. April 2025
Für Paul Schiller wird um 12:55 Uhr in der Stralauer Allee 26 ein aktualisierter Stolperstein neu verlegt.
Paul Schiller (*1895 in Berlin) erlernte den Beruf des Werkzeugmachers, etwa seit 1938 wohnte er in der Stralauer Allee 26. Bereits in der Weimarer Republik hatte Paul Schiller Kontakt zu Kommunisten. Er war seit etwa 1930 Mitglied der Roten Hilfe Deutschland (RHD), einer politischen Hilfsorganisation, die der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) nahestand. Zentralorgan der RHD war seit 1929 die Justizzeitung „Tribunal“. Nach dem Verbot der Roten Hilfe Deutschland 1933 durch die Nationalsozialisten stellte Paul Schiller seine Wohnung für die Herstellung des „Tribunal“ zur Verfügung. Er half beim Vervielfältigen der Zeitung, die dann illegal verbreitet wurde. Außerdem betätigte er sich illegal für die KPD und stand in Verbindung mit antifaschistisch tätigen Parteigenossen im Bezirk Friedrichshain.
Paul Schiller schloss sich gegen Kriegsende der bewaffneten „Kampfgruppe Osthafen“ (benannt nach dem nahegelegenen Hafengelände an der Spree) an, die aus ca. 12 Personen bestand. Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee stellte er ab dem 19. April 1945 seine Wohnung in der Stralauer Allee 26 der Gruppe als Stützpunkt zur Verfügung. Die Mitglieder der Gruppe entwaffneten fanatische Nazis und überredeten versprengte Soldaten und Flakhelfer dazu, die Waffen niederzulegen. Am 23. April 1945 wurde Paul Schiller durch ein Geschoss tödlich verletzt.
Mit der Verlegung eines Stolpersteines in der Holzmarktstraße 51 um 13:45 Uhr wird an Else Czarlinski erinnert.
Else Czarlinski kam 1887 im damals westpreußischen Dorf Miedzno (heute Polen), etwa 100 km südlich von Danzig, in einer jüdischen Familie zur Welt. Sie erlernte den Beruf der Schneiderin und übersiedelte als junge Frau nach Berlin. Else Czarlinski verdiente ihren Lebensunterhalt mit dem Nähen von Blusen und blieb unverheiratet. Um 1934 bezog sie eine Wohnung in der Holzmarktstraße 48a. Das Haus existiert nicht mehr, entspricht heute etwa der Nr. 51. Als Jüdin war sie von der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten betroffen. Aufgrund der „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ musste auch sie ab dem 19. September 1941 in der Öffentlichkeit den stigmatisierenden „Judenstern“ tragen. Der Entrechtung folgte die Deportation: Else Czarlinski wurde von Berlin am 13. Juni 1942 mit dem sogenannten 15. Osttransport in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und ermordet.
Zur Erinnerung an Ernst Perzel wird um 14:15 Uhr am Franz-Mehring-Platz 2 ein Stolperstein verlegt.
Ernst Perzel kam 1890 in Berlin zur Welt. Er lernte den Beruf des Tischlers und trat um 1910 der SPD, 1917 der USPD und 1919/20 der KPD bei. Er war seit 1925 bei der Berliner Holzkontor AG beschäftigt. Zusammen mit seiner Frau und Tochter wohnte Ernst Perzel im Haus Küstriner Platz 9. Heute entspricht dies etwa der Adresse Franz-Mehring-Platz 2. Die Wohnung gehörte seinem Arbeitgeber und lag mitten in einem weitläufigen Betriebsgelände. Nach dem Verbot der KPD durch die Nationalsozialisten 1933 war Ernst Perzel im illegalen Widerstand aktiv. Seine Wohnung diente als Ort geheimer Zusammenkünfte. Es wurden Flugblätter vervielfältigt und verbreitet. Das Ehepaar Perzel beherbergte monatelang verschiedene Parteigenossen, die sich verstecken mussten. Die Perzels unterstützten auch zahlreiche im Berliner Holzkontor beschäftigte französische Zwangsarbeiter mit Lebensmitteln und Literatur, was auch illegal war.
Am 15. April 1944 kam vor Tagesanbruch die Gestapo, nahm Ernst Perzel fest und brachte ihn ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Einige Tage später wurde seiner Ehefrau mitgeteilt, dass sich ihr Mann in seiner Zelle erhängt hätte und er am 19. April 1944 tot aufgefunden worden wäre.
Allerdings wies sein Körper Spuren von Misshandlungen auf und seine Kleidung war blutbeschmiert. Daher ist es naheliegend, dass er an den Folgen von Folter starb, er also im Gefängnis ermordet wurde – wahrscheinlich, weil die Gestapo beim Verhör versuchte, Namen von Parteigenoss*innen aus Ernst Perzel herauszupressen.
In der Schreinerstraße 21 werden um 15:00 Uhr vier Stolpersteine für David, Helene, Reinhard und Selma Holdstein verlegt.
David Holdstein wurde 1886 in Schönsee (ehemaliges Westpreußen) in einer jüdischen Familie geboren. Er wurde Kaufmann. Um 1910 heirateten er und Helene Franziska Czarlinski (*1892 in Graudenz, ehem. Westpreußen.) 1915 kam der Sohn Reinhard zur Welt.
Nachdem die Stadt Graudenz aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags an Polen abgetreten worden war, übersiedelten die Holdsteins 1920 nach Berlin. Die Familie lebte in Friedrichshain, seit etwa 1934 in der Schreinerstraße 21. Reinhard Holdstein heiratete 1938 Selma Rosenfeld (*1914 in Berlin).
Die Verfolgung von Juden und Jüdinnen seit 1933 durch die Nationalsozialisten traf auch die Familie Holdstein. David Holdstein, der Einkäufer in einem Kaufhaus war, verlor seine Arbeitsstelle ca. 1939 infolge der sogenannten „Arisierung“ der Firma. Er und sein Sohn Reinhard wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die Familie wurde am 27. Februar 1943 Opfer der „Fabrikaktion“. An dem Tag wurden Juden und Jüd*innen, die in kriegswichtigen Betrieben als Zwangsarbeiter*innen beschäftigt waren und deswegen von der Deportation bis dahin verschont waren, verhaftet und deportiert. David und Helene Holdstein sowie die Schwiegertochter Selma wurden am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Reinhard Holdstein wurde am 4. März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Er überlebte mehrere Konzentrationslager und wanderte 1949 in die USA aus.
04. April 2025
Für Dorothea Bolte wird um 12:40 Uhr am Oranienplatz 15 ein Stolperstein verlegt.
Dorothea Bolte kam 1892 in Berlin als Tochter des Gymnasiallehrers und international renommierten Märchenforschers Johannes Bolte zur Welt. Die Familie wohnte am Elisabethufer 37. Diese Adresse wurde später umbenannt und neu nummeriert in Oranienplatz 15.
Dorothea Bolte arbeitete als Bibliothekarin. In ihrer Jugend wurde eine psychische Erkrankung bei ihr diagnostiziert. Bei Nahen eines schizophrenen Schubes suchte sie regelmäßig Zuflucht als Patientin in einer der Heilanstalten im Umland von Berlin. 1940 begab sie sich in die Heilanstalt Eberswalde. Am 19. Oktober 1940 wurde Dorothea Bolte unter dem Vorwand einer Behandlung von dort nach Brandenburg an der Havel verlegt und in der dort befindlichen Tötungsanstalt im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ (Euthanasiemorde) ermordet.
In der Cuvrystraße 27 wird um 13:15 Uhr mit der Verlegung eines Stolpersteins Gerda Nitschke gedacht.
Gerda Gronert (*1914 in Berlin) heiratete 1934 Alfred Nitschke, der als Kraftfahrer arbeitete. 1936 brachte sie einen Sohn zur Welt. Sie erkrankte nach der Geburt an Kindbettfieber und erlitt einen Nervenzusammenbruch. Wahrscheinlich litt sie an einer Wochenbettdepression. Offenbar verbesserte sich ihr Zustand nicht, denn sie wurde 1937 in die Städtische Heil- und Pflegeanstalt Buch eingewiesen. In den nächsten zweieinhalb Jahren wurde sie viermal Patientin in der Psychiatrie in Berlin-Buch, aber jeweils nach kurzen Aufenthalten wieder nach Hause entlassen. Gerda lebte zuletzt mit Ehemann und Sohn in der Cuvrystraße 27. 1938 reichte ihr Mann Klage auf Scheidung „wegen Geisteskrankheit“ ein, 1941 wurde die Ehe geschieden. Das Sorgerecht für den Sohn wurde dem Vater zugesprochen.
Im Oktober 1940 wurde Gerda Nitschke aus der Psychiatrie in Buch in die psychiatrische Klinik in Berlin-Wittenau verlegt. Im April 1941 wurde sie in eine Anstalt in der ca. 130 km östlich von Berlin gelegenen Stadt Landsberg an der Warthe (damals Preußen, heute in Polen) verlegt, wo sie 3 Jahre blieb. Im März 1944 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt in Plagwitz am Bober (damals Schlesien, heute in Polen) gebracht. Ab Februar 1945 war sie in der 25 km nördlich von Zittau gelegenen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz. Dort wurde Gerda Nitschke am 12. März 1945 ermordet. Sie wurde nur 30 Jahre alt. Wahrscheinlich wurde sie durch überdosierte Beruhigungsmittel oder Unterernährung getötet.
An Walter Schwalba wird in der Bänschstraße 30 um 14:10 Uhr mit der Verlegung eines Stolpersteins erinnert.
Im Haus Mirbachstraße 14 (heute Bänschstraße 30) lebte seit etwa 1909 Walter Schwalba (*1896 in Berlin). Er erlernte den Beruf des Klaviermachers und kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war bis 1920 Mitglied der KPD. Dann trat er in die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) ein, die bis zu ihrer Auflösung 1933 die wichtigste Organisation des deutschen Anarchosyndikalismus war. Dessen Hauptziel ist die revolutionäre Überwindung des Staates und der kapitalistischen Gesellschaft durch die Übernahme der Produktionsmittel in gewerkschaftlicher (frz. syndicat) Selbstorganisation.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wirkte Walter Schwalba im Arbeiterwiderstand. Er sorgte für die Verbreitung illegaler Schriften, in denen zum gewaltsamen Sturz des nationalsozialistischen Regimes aufgerufen wurde. Er veranlasste auch Mitglieder der FAUD zur Sammlung von Spenden zur Unterstützung politischer Gefangener. Walter Schwalba wurde im April 1937 mit zahlreichen weiteren Funktionären und Mitgliedern der FAUD von der Gestapo verhaftet und angeklagt. 1938 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 5 Jahren Haft verurteilt, die er im Zuchthaus Luckau absaß. Nach dem Ende der Haft im April 1942 wurde er aber nicht entlassen, sondern in das KZ Sachsenhausen überführt, wo er bis Kriegsende inhaftiert blieb. Walter Schwalba starb 1984 in Berlin (Ost).